Vom ältesten Gewerbe der Welt
Das älteste Gewerbe der Welt – nein, nicht das was der geneigte Leser jetzt
vermutet – ist das Handwerk der Töpfer und Weber. Lange bevor man ein Alphabet entwickelte,
konnte man spinnen und weben. Keramiken und Töpfe findet man bei jeder
archäologischen Ausgrabung. Aber schon in den Grabkammern der alten Ägypter
fand man Gewebereste von Gewändern. Die Assyrer, die Babylonier und später die
Phönizier verdankten ihren Reichtum dem Handel mit Stoffen. Selbst in der
Steinzeit sollen sich die Leute nicht nur in Fällen eingekleidet haben.
Im Lexikon findet man unter „Weben“ folgende Erläuterung: „Die Weberei
ist eine der ältesten Techniken der Herstellung von textilen Flächengebilden,
bei dem mindestens zwei Fadensysteme, die Kette und der Schuss rechtwinklig verkreuzt werden, wobei die vorgespannten Kettfäden den
Träger bilden, in den sukzessiv die Schussfäden von einer Webkante zur anderen
durch die gesamte Webbreite eingezogen werden. Das Erzeugnis wird in der
Fachsprache als Gewebe bezeichnet, ein Begriff, der sowohl Tuche
(umgangssprachlich: Stoff) als auch andere Produkte umfasst wie beispielsweise
gewebte Teppiche oder Tapeten.“
Seit der Jungsteinzeit kannte man Webstühle, die allerdings nicht
wie heute flach waren, sondern bei denen die Kettfäden mit einem Gewicht an
einem horizontalen Balken befestigt wurden. Als Material benutzte man Flachs
oder Wolle, aber auch der Rindenbast von Eiche, Linde und Ulme ließ sich
verwenden. Die Gewichtswebstühle wurden bis ins Mittelalter hinein benutzt. In
verschiedenen Themenmuseen kann man diese heute noch bestaunen.
Es waren die Frauen, die für die Textilherstellung zuständig
waren. Sie pflanzten und ernteten Hanf und Leinen, sie bearbeiteten das
Material, spannen den Faden und färbten Flachs oder Wolle. Die Grundfarben
wurden vor allem aus einheimischen oder exotischen Pflanzen gewonnen, seltener
von Tieren. Die Herkunft der Farbstoffe brachte beträchtliche Preisunterschiede
mit sich, was bei den Färbern seit dem Mittelalter zur Unterscheidung zwischen
„Schönfärber“ und „Schlechtfärber“ führte.
Apropos, Schönfärberei. Viele Ausdrücke aus der Webkunst wurden in die Alltagssprache übernommen. Man denke
nur an den „Lebensfaden“, der durchschnitten wird, an den seidenen Faden, an
dem alles hängt, an „fadenscheinige Ausreden“, an ein Komplott, das
„eingefädelt“ wird, an das „Spinnen“ im übertragenen Sinn. All das ist in
vielen Sprachen heute in der Umgangssprache zu finden. Auch dies beweist, dass
wir es hier tatsächlich mit einem uralten Gewerbe zu tun haben.
Während anfangs nur die Frauen für den Familienbedarf webten,
entwickelte sich in Europa die Weberei bald als Industriezweig. So verzeichnete
man im Augsburg des 15. Jahrhunderts über 700 Mitglieder in der Weberzunft. Im
hohen Mittelalter schließlich kam ein findiger Geist auf die Idee, einen
Webstuhl mit horizontaler Kette zu bauen. Doch erst im 18. Jahrhundert wurde
das Gerät wesentlich weiterentwickelt. So erbaute der Geistliche Edmond
Cartwright 1784 den ersten mechanischen Webstuhl. 1805 revolutionierte der
Seidenweber Jacquard aus Lyon die Webtechnik, indem er mit Hilfe von Lochkarten
die Kettfäden einzeln hob oder senkte, so konnte man auf großen Flächen
gemusterte Stoffe weben. 1879 stellte Werner von Siemens auf der Berliner
Gewerbeausstellung schließlich den ersten elektrisch angetriebenen Webstuhl
vor. Zuvor hatte man sich der Unterstützung von Dampfmaschinen oder
Wasserrädern bedienen müssen.
Neben dem gewerblichen Gebrauch des Webstuhls wurde auch schon
früh der künstlerische Nutzen erkannt. Seit dem Mittelalter bildete sich diese
Textilkunst immer weiter aus. Die Bürger der im späten Mittelalter durch Handel
und Gewerbe erstarkten Städte schmückten ihre Häuser mit künstlerisch
gestalteten Wand- und Bettbehängen, Kissen oder Tischtüchern. So machte die
Bildweberei der Tafelmalerei bald Konkurrenz. Gleichzeitig wurden in Kirchen
und Klöstern Chorbehänge und Altartücher gestiftet, die mit Heiligenfiguren und
szenischen Darstellungen aus der Bibel oft auf besondere Feste des
Kirchenjahres Bezug nahmen und nur an diesen aufgehängt wurden.
JKS / 10.2008